Sonntag im alten Berliner Westen: Am 17. Juni ziehe ich kurz in Erwägung, dem selbstgefälligen Flohmarktverkäufer eins auf die Schnauze zu hauen, gehe um 16:45 Uhr dann aber doch lieber spontan in die Sechzehnuhrdreißigvorstellung im Cinema Paris am Kurfürstendamm. Blind Date mit einem Film, sozusagen. Ohne wirklich zu wissen, was läuft, sitze ich in Die anonymen Romantiker und spucke mir beinah vor Lachen die Cola aufs Hemd. +++ Es geht, kurz gesagt, um einen schüchternen Lyoner Chocolatier, der sich, optisch und vor allem im Regen, immer mehr in den nächtlichen Brezelverkäufer vom club49 verwandelt. Und – für die Geschichte viel entscheidender – sich heimlich und leise in seine schüchterne Angestellte verliebt. Wovor im richtigen Leben immer gewarnt wird, funktioniert hier im Film auf ganz feine und herzerwärmende Weise. +++ Das babaBerlin in der Dieffenbachstraße hatte zuvor, für mich exklusiv, den Zweitligakracher Braunschweig – St. Pauli angesetzt. Sie kochten mir Kaffee, und Eintracht gewann knapp aber nicht unverdient 1:0. Danke dafür! +++ Blind Date mit der Gedächtniskirche: Vom Kino beseelt ließ ich mich von der lispelnden, langhaarigen, jungen Pastorin in den Bann ziehen und nahm spontan am Gottesdienst teil. Es ging um Jerusalem und um die Gewalt im Nahen Osten, und ich hörte wie immer nicht zu. Sie forderte uns gegen Ende mindestens drei Mal auf, endlich in Frieden zu gehen, doch alle blieben ganz unbeeindruckt sitzen wie bei einer Blockade in Gorleben. +++ Ich zündete eine Kerze an und musste an die Pixies im Tempodrom damals denken: Anfang September im Jahr nach dem Mauerfall, der Doolittle-Nachfolger Bossanova war gerade erschienen. Es regnete Bindfäden durchs Zeltdach direkt auf die Bühne, und die Band war von den ständigen Kriechstromschlägen genervt und brach das Konzert kurz vor der Zugabe ab. Während Kim Deal wohl schon längst an ihrer Hotelbar saß und Black Francis irgendwo anders, skandierte das Publikum geschlossen und unermüdlich weiterhin "Pixies, Pixies!" +++ Am Freitag, das kann ich nicht ohne ein Schmunzeln berichten, schlurfte der Anführer der Monchichi-Bande verstohlen vorm club49 herum. Als er mich sah, fing er mich ab und sprach mich verlegen an, ob ich für ihn nicht 'nen Job als Barkeeper hätte. Natürlich habe ich keine Barjobs für Mitglieder der Monchichi-Bande, aber irgendwie war ich beeindruckt: Hatten wir immer erwartet, mit 16 spätestens würde er hinter Gittern landen, scheint seine Zukunftsplanung doch eine ganz andere. Die Schwarze Barbara vom Jimmy Woo mit den eisblauen Augen meinte später dann auch, der Monchichi sei eine zwar echt faule Sau, hätte aber gewissenhaft alkoholfreie Cocktails und alles mögliche sonst bei ihnen geübt und erlernt. +++ Gefühlt seit bestimmt 2006 nicht mehr wirklich im Kino gewesen, aber Die anonymen Romantiker sind schon jetzt definitiv mein Film des Jahres! Einer der Lieblingsdialoge daraus: "Ich leg mich dann jetzt mal aufs Sofa." – "Hier gibt’s gar kein Sofa." +++ Apropos: Mache heute Abend himself Zapfhahn statt Sofa. Im club49, Ohlauer Straße. Checkt das aus!
Foto: Breitscheidplatz © Berliner Zeitung, KvK, 1997
12 Kommentare:
Foto: Die anonymen Sozialromantiker?
Wenn mich eins auf der Welt nervt – mehr noch als Pest, Cholera und Sex haben zusammen –, dann sind das definitiv Gewerkschaftler mit Trillerpfeife zwischen den Zähnen...!
Und rotgefärbte Haare sind ja auch seit 1889 bei den Damen der Look der Saison...
Naja. Ich würd sie nicht von der Bettkante stoßen.
Hmh.
"Schnippschnapp alles ab, Chauvis, wir kommen!" Ach nee, das war ja 1987, aber auch mit Trillerpfeife, KvKundMH.
... wie sagte michael sommer auf der letzten 1. mai-kundgebung: "Er ist der Tag, an dem wir für unsere Rechte und unsere Würde als arbeitende Menschen demonstrieren!"
...klsr: mit schild oder fähnchen in der hand und t-shirt für alle mit spruch drauf.
Pffffff, pffff, pffff
Macht Euch nur lustig über die Gewerkschaften. Ohne die Trillies und ihre Vorfahren müssten wir alle noch 16 Stunden für Feudalherren schuften, und nicht wie heut' fürs Finanzamt. Oder Sky. Oder verhungern. Und Frauen dürften nicht im Club an der Theke stehen, sondern zuhause putzen und dreimal im Jahr die Beine breitmachen, um Blagen zu zeugen. Oder wenn der Herr des Hauses Bock hat.
Also: Triiiiiillll (Ton einer Trillerpfeife, ungefähr).
kapitalistische konter-revolutionäre!!!!
....bettkante?! ist das nicht ein fall für den betriebsrat im Club?
Okay. Erst stimmen wir ab – aber dann mach ich sie lang!
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